Die besten Fonts 2012
von Christoph KoeberlinJedes Jahr dasselbe: Eine Unmenge neuer Schriften, und keiner behält den Überblick! Na ja, fast keiner. Viel Spaß mit meiner kleinen Auswahl, wie immer garantiert unsortiert, subjektiv und unabhängig, und jetzt erstmalig zweisprachig und Retina-ready!
Marian · Paul Barnes (Commercial Type)
Skelett der Schriftgeschichte
Eine Schrift so auf ihr Skelett zu reduzieren, daß nicht nur ihren Linien, sondern auch ihrem Charakter treu geblieben wird, ist eine sehr schwierige Sache. Eine Schrift war Paul Barnes allerdings zu wenig, und so hat er sich gleich die halbe Schriftgeschichte vorgenommen und Skelette der Typen von Austin, Baskerville, Bodoni, Fournier, Fleischmann, Garamont, Granjon & Kiš erstellt, selbstverständlich inklusive aller histrorischen Ligaturen, Alternativzeichen und co. Und wem das nicht reicht, der bekommt noch eine Textur von Hendrik van den Keere als Hairline dazu!
FF Tisa Sans · Mitja Miklavčič (FontFont)
Nadellose Eibe
Mitja Miklavčič hat mit seiner FF Tisa (Slovenisch für »Eibe«) eine der interessantesten Serifenschriften der letzten Jahre gestaltet, und die passende Serifenlose wurde mit Spannung erwartet. Mitja ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und nahm sich genug Zeit, um eine eigenständige Partnerin zu entwickeln. Die Betonung liegt auf eigenständig, denn anders als viele Sans-Pendants weiß Tisa Sans durch ihre freundliche, rundliche Formensprache auch (und gerade) alleine zu betören, so auch in den Überschriften auf dieser Website.
Euclid · Emmanuel Rey (Swiss Typefaces)
Geometrie jetzt
Euclid ist kein bloßes Revival einer geometrischen Sans aus dem 20. Jahrhundert, sondern eine echtes Kind des noch jungen Jahrtausends. So ließ sich Emmanuel Rey für den üppig ausgestatteten OpenType-Font (neben unzähligen Ligaturen und Alternativzeichen finden sich auch Mediävalziffern und Unicase-Zeichen!) nicht nur eindimensional inspirieren; Einflüsse kommen aus historischen Inschriften genauso wie aus zeitgenössischen Graffiti-Tags.
Und im nächsten Jahr folgen neue Fettegrade, exklusiv hier vorab zu besichtigen!
The Harriet Series · Jackson Cavanaugh (Okay Type)
Server-crashing serifs
Als Jackson Cavanaugh Anfang des Jahres seine neue Schriftfamilie mit einer eigenen Microsite veröffentlichte, dauerte es nicht lange und der Server ging ob des großen Andrangs (link: in die Knie! Und warum das so war, wird nach einem Klick schnell klar: Nicht nur die Microsite, sondern vor allem die darauf perfekt in Szene gesetzte Schrift weiß auf Anhieb zu begeistern: Einflüsse von Baskerville über die Scotch Roman bis hin zu den »modernen« anglo-amerikanischen Spitzfeder-Schriften des frühen 20. Jahrhunderts sind zu spüren, ohne jedoch den eigenen Charakter aus den Augen zu verlieren. Ein breites Spektrum an Strichstärken steht zur Verfügung, sowohl für den Display-Einsatz als auch mit reduziertem Kontrast für den Mengentext.
OurType Stencils · Fred Smeijers, Maurice Göldner, Pierre Pané-Farré & Thomas Thiemich (OurType)
Not your usual stencil
Wer bei Schablonenschriften nur an die blockigen Lettern auf Holzkisten, Containern oder Pappkartons dachte, wurde spätestens 2010 von Paul Barnes eines Besseren belehrt. Nun nahm sich Fred Smeijers endlich einem seiner liebsten Themen an und hat zusammen mit den OurType-Designern Maurice Göldner, Pierre Pané-Farré & Thomas Thiemich eine ganze Serie unterschiedlichster Schablonenschriften veröffentlicht, eine aufregender als die andere.
JAF Bernini Sans · Tim Ahrens (Just Another Foundry)
Aufregend unaufgeregt
Es gibt introvertierte und extravertierte Schriften. Letztere sind diejenigen, die man entweder sofort liebt oder eben haßt, weil sie mit ihren Besonderheiten nicht hinter dem Berg halten. Die introvertierten Schriften sind jene, die gerne auf den ersten Blick übersehen werden, weil sie so unscheinbar wirken, aber je näher man sich mit ihnen beschäftigt, desto faszinierender werden sie. So wie Bernini Sans von Tim Ahrens, bestehend aus der eher maskulinen Bernino Sans (oberer Teil des Schriftmusters) und der feminineren Bernina Sans (unterer Teil) . Im Interview/Portrait auf myfonts.de kommt man langsam, aber sicher zur Erkenntnis, daß Tim das spannende Feld der »pseudo-dynamischen« Serifenlosen à la Frutiger trefflich analysiert und um eine Schriftfamilie ergänzt hat, die schlicht und einfach als ultimativ bezeichnet werden muß.
Thema · Nikola Djurek (Typonine)
Lückenlose Eleganz
Bereits 2008 veröffentlichte Nikola Djurek Typonine Stencil, deren Kombination aus elegantem holländischem Duktus zusammen mit dem für das Genre ungewöhnlichen Schabloneneffekt für Aufsehen sorgte. Und es konnte im Grunde nur eine Frage der Zeit sein, wann er buchstäblich die Lücken schließen und die eleganten Formen ohne die Stege veröffentlichen würde. Das Warten hat nun erstens ein Ende und sich zweitens gelohnt, denn eine derart schnörkellose, anmutige Breitfederschrift hat man bisher selten gesehen!
Rollerscript · Nick Cooke (G-Type)
Digitaler Tintenroller
Wer mich kennt, weiß, daß ich eine Schwäche für gut gemachte Handschriftenfonts habe, und wer die typografische Realität kennt, weiß, daß es immer noch viel zu wenige gibt. Nick Cooke hat dem Genre mit Olicana bereits einen eleganten Beitrag hinzugefügt und legt jetzt mit Rollerscript lässig nach. Wie der Name schon sagt, basiert die Schrift auf dem schwungvoll geschriebenen Rollerball Pen (»Tintenroller«), und neben ihrem dynamischen Duktus ist es vor allem die smarte OpenType-Technik, die sowohl in der Smooth- als auch in der Rough-Variante durch automatisch integrierte Alternativzeichen und Ligaturen für ein natürliches und lebendiges Schriftbild sorgt.
Trivia · František Štorm (Štormtype)
Kleines Einmaleins im großen Stil
Neben der Schriftgestaltung scheint František Štorms große Stärke im Understatement zu liegen, denn er verleiht dieser gigantischen Schriftsippe das Prädikat »trivial« und möchte eigentlich nur die drei Ausprägungen einer Schrift verdeutlichen: Sans, Serif und Slab. Das Ergebnis ist jedoch eine (im wahrsten Sinne) Superfamilie, die ihresgleichen sucht: Hier trifft klassizistische Antiqua nicht nur auf Serifenlose und Serifenbetonte, sondern gleich auch noch auf Amerikanische Grotesk. Dazu gibt es noch eine kontrastärmere Variante für den Mengensatz und neben unzähligen OpenType-Features auch Kyrillisch und Griechisch in allen 94 (!) Schriftschnitten. Ganz trivial eben.
Fort ·Jeremy Mickel (Village/MCKL)
Freundliche Neutralität
Wer wie Jeremy Mickel gleichzeitig Grafikdesigner und Schriftgestalter ist, hat den Vorteil, sich seine passende Schrift einfach selbst gestalten zu können. Im Falle von Fort könnte das Problem gewesen sein, daß Gotham zu rund war und DIN zu streng. Ergebnis: Eine zeitgemäße Grotesk mit leicht gespannten Rundungen; neutral genug, um sich zurückzunehmen wo es nötig ist, gleichzeitig aber mit der gewissen Wärme und Freundlichkeit ausgestattet, um nicht zu unpersönlich rüberzukommen.
Honorable Mentions
Andere Best-of-Listen
Ein großes Dankeschön
… wie immer allen Designern und Foundrys für die freundliche Unterstützung!